Finanzierung von Moscheen und religiösen Einrichtungen

Das Islamische Zentrum Hamburg finanziert sich zu 100% aus Spendengeldern und erhält kein Geld von staatlichen Stellen. Im Hintergrund dieser Finanzierung steht das schiitische Spendensystem, das im Folgenden kurz vorgestellt wird. Es führt dazu, dass die Moscheen weder vom Staat noch von einzelnen Religionsgelehrten abhängig sind. Vielmehr verfügen theologisch besonders autorisierte schiitische Religionsgelehrte weltweit über ein Budget an Spendengeldern, die sie entsprechend der theologischen Kriterien und Prioritäten unterschiedlichen religiösen Einrichtungen zur Verfügung stellen können. Das Islamische Zentrum Hamburg beispielsweise erhält seine Gelder aus Spenden von Gläubigen in Deutschland und auch in Europa.

Das islamische Fünftel (Al-Khums)

In den letzten Jahren mehren sich im hiesigen politischen und medial-öffentlichen Diskurs Stimmen, die eine an die staatlicherseits für die christlichen Kirchen eingezogene Kirchensteuer angelehnte Moscheesteuer fordern. Bezugnehmend auf diese Diskussionen möchte das Islamische Zentrum Hamburg einen Debattenbeitrag leisten und die für die islamische bzw. für die schiitisch-djaafaritische Rechtsschule bestehenden Finanzierungsmöglichkeiten von Moscheegemeinden und deren theologisch-akademischen und sozialen Aktivitäten darlegen.

Das islamische Glaubensbekenntnis und die islamische Lebensweise basieren auf mehr als nur auf den in Deutschland zumeist bekannten fünf Säulen des Islam, zu denen auch die Almosensteuer (Zakāt) gehört. Die schiitische Rechtsschule kennt eine weitere religiöse Abgabe, den sogenannten Fünft oder die Fünftelabgabe (arabisch: Al-Khums). Sie zählt zu den wichtigsten Sozialabgaben und hat im Laufe der Geschichte insbesondere in den schiitisch geprägten Ländern und überall dort, wo schiitische Muslime leben, eine bedeutende gesellschaftliche Relevanz erlangt. Die Entrichtung dieser Abgabe ist für Schiiten religiös verpflichtend, sie geschieht jedoch ohne irgendeine Form von rechtlicher Kontrolle seitens eines Staates oder eines theologischen Gremiums in einer freiwilligen, diskreten Art und Weise an den zur Entgegennahme des Khums autorisierten Imam des Vertrauens. Hierdurch wird seit der Offenbarungszeit die finanzielle Unabhängigkeit der religiösen Einrichtung vom Staat oder Regierungssystem gefördert.

Die Pflicht zur Khums-Abgabe findetim Ehrwürdigen Quran in Sure 8, Vers 41 (Sure Al-Anfāl) Erwähnung, wo es heißt:

´Und wisst, wenn ihr Beute macht, dann gehört ein Fünftel davon Gott und dem Gesandten,

den Verwandten, Waisen, Armen und dem ‹Sohn des Weges›, wenn ihr an Gott glaubt und an das, was wir auf unseren Knecht herabgesandt haben am Tage der Entscheidung – dem Tag, da die beiden Gruppen aufeinandertrafen! Gott ist aller Dinge mächtig.`

Das für den Vers zentrale arabische Verb ghanima, welches hier mit ‚Beute machen‘ wiedergegeben wird, umfasst jedoch auch die Bedeutungen ‚erlangen‘ oder ‚gewinnen’ und weist somit auf Nutzen und Gewinn in einem allgemein wirtschaftlichen Sinn hin.

Von den meisten sunnitischen Exegeten wird der zitierte Vers nahezu ausschließlich im Hinblick auf die Besteuerung von Kriegsbeute verstanden, deren Auswirkungen jedoch im Laufe der Geschichte mit Ausbildung von staatlichen Militärstrukturen einen Bedeutungsverlust für die Allgemeinheit erfuhren.

Demgegenüber sehen schiitische Gelehrte in der Fünftelabgabe eher eine Sozialabgabe respektive eine gesellschaftsrelevante finanzielle Verpflichtung der Gläubigen. Es kann demnach zwar ein Konsens aller islamischen Exegeten darüber festgestellt werden, dass die Fünftelabgabe unter bestimmten Bedingungen entrichtet werden muss. Bezüglich der Bemessungsgrundlage, dem Berechnungszeitpunkt und dem Verwendungszweck der Abgabe bestehen jedoch divergierende Positionen und Auslegungen.

Nach schiitischer Auffassung wird in dem oben zitierten Koranvers recht eindeutig auf den Verwendungszweck hingewiesen: während  ein Teil der Fünftelabgabe direkt an den Imam zu zahlen ist und als Anteil des Imams (sahm-e imām) bezeichnet wird, steht ein zweiter Teil ausschließlich Bedürftigen aus der Nachkommenschaft des Propheten zu und wird dementsprechend sahm-e sādāt genannt. Diesen, den Nachkommen des Propheten und der Imame (Sādāt), ist es im Übrigen nicht gestattet, Unterstützung aus der allgemeinen Almosenabgabe, der Zakāt, anzunehmen. Beide Anteile werden direkt, wie bereits erwähnt, freiwillig und ohne Regelung durch religiöse oder staatliche Institutionen, an den jeweiligen Geistlichen des Vertrauens gezahlt.

Schiitische Geistliche üben seit der Frühzeit des Islam die verantwortungsvolle Aufgabe aus, Khumsabgaben entgegenzunehmen, zu verwalten und zu verteilen, wobei sie sich zum einen auf den koranischen Text und zum anderen auf verschiedene Überlieferungen zur konkreten Umsetzung dieser Verse seitens des Propheten Muhammad (F.) und der verschiedenen schiitischen Imame (F.) stützen.

Das Konzept der Verwaltung der Khumsabgabe in seiner heutigen Form geht auf den bedeutenden schiitischen Gelehrten al-Kulainī ar-Rāzī (ca. 880 – 940 n. christlicher Zeitrechnung) zurück. Die Abgabe ergeht quasi treuhändisch an die autorisierten Gelehrten in Vertretung des 12. Imams der Schiiten, Imam Al Mahdi (Friede sei mit ihm), solange er in der sogenannten großen Verborgenheit lebt. 

Damit stehen den Geistlichen unterschiedlich große Vermögen zur Verfügung, deren konkrete Verwendungen das breite Spektrum von allgemeiner Wohlfahrtshilfe über die Finanzierung religiöser Zentren, theologischer Schulen und Hochschulen bis hin zu Stipendien für Studierende der Theologie abdecken.

Ein aus unserer Sicht stets hervorzuhebender Aspekt, der in diesem Konzept begründet liegt, ist die finanzielle Unabhängigkeit der Geistlichkeit von allen politischen und staatlichen Strukturen. Diese bleibt unangetastet, auch wenn sie unter beispielsweise diktatorischen oder feindseligen Bedingungen ihren religiösen Verpflichtungen nachkommen müssen, wie es konkret den schiitischen Zentren Qum und Nadjaf in großen Teilen des letzten Jahrhundert erging und sie sich trotz aller Repressalien zu kraftvollen Denkzentren mit einer hohen wissenschaftlichen Autorität entwickelten. 

Um zur Entgegennahme von Khumsgeldern autorisiert zu sein, müssen Geistliche bestimmte Voraussetzungen erfüllen.  Als ein Hauptkriterium gilt das Erreichen der höchsten Stufe der Rechtslehre, diese Geistlichen können in der Glaubenspraxis als Instanz der Nachahmung in Anspruch genommen werden (Mardschaʿ at-Taqlīd)

An dieser Stelle sollen die bereits erwähnten Aspekte der Freiwilligkeit und der Diskretion nochmals hervorgehoben werden: Die Berechnungen der genauen Höhe, der jährliche Berechnungszeitpunkt und vor allem die Auswahl des jeweiligen Gelehrten des Vertrauens sind Aspekte, die vollumfänglich von der oder dem Gläubigen selbst entschieden und ausgeführt werden. Es gibt keinerlei Instanz, die die Entrichtung dieser Abgabe kontrolliert, außer dem Glauben und  Gewissen jeder oder jedes Einzelnen, in alleiniger Verantwortung vor unserem Schöpfer und Erhalter.

Somit berechnet jede Muslima und jeder Muslim die eigene Fünftelabgabe selbstverantwortlich entsprechend der detaillierten Angaben der individuell gewählten Instanz der Nachahmung (der Gelehrte, dem in der persönlichen Glaubenspraxis gefolgt wird) über die Bemessungsgrundlage. Grob zusammengefasst errechnet sich die Fünftelabgabe (20%) vom finanziellen Überschuss einer Person gegenüber dem vergangenen Jahr, nach Abzug aller Lebenshaltungskosten, etwaiger bevorstehender finanzieller Aufwendungen und der von staatlicher Seite geforderten Abgaben und Steuern (diese Faktoren haben immer Vorrang vor der Khums-Abgabe). Hat die Person diesen Betrag ermittelt, kann sie ihn, ohne zu weiteren Erläuterungen oder Offenlegung der persönlichen finanziellen Situation verpflichtet zu sein, an den jeweiligen Gelehrten oder dessen Stellvertreter übergeben.

Historisch gesehen kann die kombinierte Realisierung  der allgemeinen Almosenabgabe (Zakāt) und der Fünftelabgabe als eine der ältesten privaten und durch die Religiosität institutionalisierten Fürsorgesysteme betrachtet und als Ausdruck einer ausgeprägten gegenseitigen sozialen Verantwortung in einer humanen Gesellschaft gesehen werden. Indem gläubige Muslime in der hiesigen Gesellschaft dieser sozialen Verantwortung nachkommen, leisten sie durchaus auch in schwierigen Zeiten einen nicht geringen  Beitrag für die Allgemeinheit, der von der Öffentlichkeit nahezu unbemerkt bleibt.

Mit diesen Ausführungen aus der Innensicht der schiitischen Rechtsschule ist es dem Islamischen Zentrum Hamburg ein aufrichtiges Anliegen, die Debatte um die Finanzierung islamischer Gemeinden zu bereichern. Dieser kurze Beitrag kann und soll selbstverständlich nicht alle Aspekte in diesem Zusammenhang abdecken. Wir hoffen, dass er eine Anregung für weitere Gespräche ist und sind gerne bereit, in unterschiedlichen Gremien tiefer gehende Fragen offen und in gegenseitigem Verständnis zu besprechen.

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