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Aus der Freitagsansprache vom 24.05.2019

Gesellschaftspolitische Dimension des heiligen Fastenmonats Ramadan

Im Namen Gottes, des Gnädigen, des Barmherzige

In der kommenden Woche begehen Muslime in der gesamten Welt das Ende des heiligen Fastenmonats Ramadan.

Unterschiedliche Fastentraditionen sind Bestandteil aller monotheistischen Religionen und eine elementare Form des Gottesdienstes.  Der Islam weist dem Fasten in einer festgeschriebenen Zeit über die rein spirituelle und medizinische Dimension hinaus, eine explizit gesellschaftspolitische Dimension zu, die sich nicht nur auf materielle Aspekte beschränkt. Muslime generieren zwar auch durch eigenen Verzicht und Einschränkung Erträge, die an Bedürftige gegeben werden.

Deutlicher als in der Wohltätigkeit zeigt sich jedoch diese soziale Dimension im Fasten als einem solidarischen Akt mit Mitmenschen, die in Unrecht und Ungerechtigkeit leben.

Fasten ermöglicht es also dem Gläubigen, sich zum einen in einer aufrichtigen und ehrlichen Selbstbegegnung für die reine Gottesliebe zu öffnen.

Die höchste und reinste Form der Nächstenliebe zeigt sich nach unserer Überzeugung in der friedfertigen, gewaltfreien und vor allem empathischen Hinwendung und Sorge um das Leid der Anderen. Die Überlieferung des heiligen Propheten Mohammad (Frieden sei auf ihm und auf seiner reinen Nachkommenschaft): „Wer den Morgen begeht ohne Sorge um die Angelegenheit der Muslime, ist kein Moslem“[1] bleibt unsere Handlungsmaxime, wenn wir gegen jegliche Form der Unterdrückung, Ungerechtigkeit, Diskriminierung und ökonomischen Ausbeutung der Menschen Position beziehen. Und von Imam Ali (Friede sei auf ihm) wird überliefert: „Die Menschen sind zweierlei: entweder sind sie deine Brüder im Glauben oder deine Brüder in der Menschlichkeit“.

Das bedeutet, dass die Wahrung der Würde der Menschen und ihr Schutz zu unseren elementaren religiösen Überzeugungen gehören, egal wo auf der Welt; ob in Europa, im Irak, im Jemen, in Bahrain, Gaza, in Sri Lanka oder in Neuseeland. Jegliche Form von Extremismus, Rassismus, gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit oder gar Antisemitismus werden grundsätzlich und mit aller Energie und aus tiefer Überzeugung von uns abgelehnt, so wie wir uns mit  aller Kraft gegen jede Form der Gewalt und des Terrors gegen die Menschheit stellen.

Wir sehen es als eine menschliche und religiöse Verpflichtung der Gläubigen an, zu Unrecht nicht zu schweigen, sondern sich  als Teil der Weltengemeinschaft für die Rechte aller Menschen, ob Glaubensbrüder oder nicht, einzusetzen. In diesem Sinne, den Ruf nach dem Existenzrecht und der Bewahrung der Würde unterdrückter Völker immerfort laut zu halten, ebenso wie gegen das Sterben von unschuldigen Zivilisten, Frauen und Kindern in den Kriegsgebieten dieser Welt, die Stimme zu erheben, ist das mindeste, was einem empathischen Menschen möglich sein sollte. Die Stimme zu erheben, religiöse Zivilcourage und Widerstand zu leisten gegen Unrecht unterliegt nach unserem Verständnis eines vernunftgeleiteten, moderaten, ethischen Islam aber immer auch gewissen Regeln. Weder religiöse Heiligtümer und Manifestationen anderer, noch die geschriebenen und ungeschriebenen Gesetze des jeweiligen Staates in dem wir leben dürfen in irgendeiner Form verschmäht oder verletzt werden. Die Achtung dieser in jeder Form gehört zu den Grundprinzipien jedes gläubigen Muslim.

Das Islamische Zentrum Hamburg sieht sich der eigenen Tradition als ein Ort der Begegnung von Menschen verschiedener religiöser, ethnischer und kultureller  Zugehörigkeiten sowie des wissenschaftlichen, interreligiösen und interkulturellen Dialogs verpflichtet und betrachtet sich gleichzeitig als ein wesentliches Element dieser religiösen Vielfalt und Pluralität der Stadt Hamburg. Diese Grundhaltung wurde und wird nunmehr seit 59 Jahren von allen verschiedenen Leitern des Islamischen Zentrums vertreten und sie war und bleibt ein nicht unbedeutender Faktor, der den Ruf Hamburgs als Hauptstadt des interreligiösen Dialogs begründet.

Unverändert möchten wir uns mit aller uns zur Verfügung stehenden Kraft für ein harmonisches, friedvolles und verantwortungsvolles Miteinander aller Bürgerinnen und Bürger dieser wunderschönen Stadt und über ihre Grenzen hinaus einsetzen.

Das Islamische Zentrum Hamburg ist und bleibt offen für den Dialog mit allen zivilgesellschaftlichen Akteuren, seien es die verschiedenen Religionsgemeinschaften und ihre Vertreter,  Institutionen oder Parteien, um in einem partnerschaftlichen Diskurs, Lösungen für die mannigfachen gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen unserer Zeit zu finden. Wir stehen aus tiefster Überzeugung zu einem gleichberechtigten gesellschaftlichen Dialog und sehen ihn als den einzig wahren Schlüssel für eine gemeinsame Zukunft in Sicherheit und Frieden.

Unseren christlichen Geschwistern, wünschen wir gesegnete Festtage zum bevorstehenden Tag von  Christi Himmelfahrt, unseren jüdischen Geschwistern Gottes Frieden und Seinen Schutz bei der Auslebung ihres Glaubens und allen weiteren  Mitmenschen, eine Welt, in der durch Ethik und Moral Gerechtigkeit für die gesamte Menschheitsfamilie möglich wird.

Mohammad Hadi Mofatteh

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